Sustainable Fashion

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Menschenrechtsverletzungen in der Bekleidungsbranche: Frauen sind am meisten gefährdet

Geschlechtergerechtigkeit in der Textilproduktion

In den letzten Jahrzehnten stand die Bekleidungsindustrie im Rampenlicht, weil immer wieder schlechte Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt wurden. Obwohl einige Unternehmen positive Schritte unternommen haben, gibt es immer noch viele Probleme. So wurden allein im März 2020 in achtzehn Ländern Fabrikbrände in der Bekleidungsindustrie gemeldet, die zu 50 Verletzten und vier Todesfällen führten.(1)

Nach Angaben der Organisation HERproject stellen Frauen knapp 70% der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie und 45% der Beschäftigten im Textilsektor (dem Teilbereich der Bekleidungsindustrie, der Bekleidungsfasern herstellt).(2) Zusätzlich zu den allgemeinen Menschenrechtsproblemen, die der Textil- und Bekleidungsindustrie zuzuschreiben sind, gibt es auch geschlechtsspezifische Probleme. So wurde beispielsweise berichtet, dass fast 70% der in Schuhfabriken in Vietnam beschäftigten Frauen an gynäkologischen Infektionen leiden, die möglicherweise auf die schlechten hygienischen Bedingungen in diesen Arbeitsumgebungen zurückzuführen sind.(3) Und trotz zahlreicher Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung von Bekleidungsarbeiterinnen ergab ein von Karmojibi Nari und der International Women’s Rights Action Watch Asia Pacific veröffentlichter Bericht, dass weniger als 70% der Fabriken in Bangladesch über Anti-Belästigungs-Komitees verfügen.(4) Die Probleme, mit denen die Arbeiter*innen in Textilfabriken – und insbesondere die weiblichen Fabrikarbeiter – konfrontiert sind, wurden dort ausführlich untersucht und diskutiert. Die COVID-19-Pandemie hat diese Probleme zusätzlich verschärft und zu einer weiteren Entrechtung der Beschäftigten in dieser Branche geführt.

Textilproduktion während der COVID-19-Pandemie

Eine Umfrage unter Tausenden von Käufern und Lieferanten in über 100 Ländern hat ergeben, dass die Bekleidungs- und Schuhindustrie zu den Branchen gehört, die von der COVID-19-Pandemie wirtschaftlich am stärksten betroffen sind.(5) Die Anfälligkeit des Textilsektors für finanzielle Verluste ist zum Teil auf seine Abhängigkeit von globalen Lieferketten und auf eine gleichbleibend starke Nachfrage in den Industrieländern zurückzuführen.(6) Mit der Schließung von Einzelhandelsgeschäften und dem Rückgang der Nachfrage haben globale Marken begonnen, Bestellungen zu stornieren, Rabatte zu verlangen, Lieferungen zu verzögern und ihre Verträge mit ihren Lieferanten zu verletzen.(7) Anfang April 2020 hatte Inditex, die Muttergesellschaft der spanischen Marke Zara, bereits Lagerbestände im Wert von 336 Millionen Dollar abgeschrieben.(8)

Vijay Mahtaney, Vorsitzender von Ambattur Fashion India, der zusammen mit seinen Partnern fast 20.000 Arbeiter*innen in Indien, Jordanien und Bangladesch beschäftigt, behauptet, dass Auftraggeber begonnen hätten, Rabatte für ausstehende Zahlungen zu verlangen, und sogar so weit gingen, Stornierungen für bereits in Produktion befindliche Aufträge auszusprechen.(9) Ein amerikanischer Einzelhändler verlangte offenbar einen 30-prozentigen Rabatt für alle Artikel, einschließlich derer, die bereits geliefert worden waren.(9) Multinationale Konzerne, die durch COVID-19 in finanzielle Bedrängnis geraten sind, setzen diese Auseinandersetzungen in der gesamten Lieferkette fort und beeinträchtigen damit die Lebensgrundlage der an der Produktion beteiligten Arbeiter*innen.

Aufgrund der pandemischen Situation haben Hunderttausende von Menschen ihre Arbeit verloren, da Fabriken geschlossen wurden.(5) Diese wirtschaftlichen Wellen sind für Textilarbeiter weltweit spürbar. In Bangladesch sind 80% der Wirtschaft vom Bekleidungssektor abhängig.(10) Die Aktivistin Kalpona Akter behauptet, dass im Monat März 2020 mehr als 50% dieser Arbeiter ihren Lohn nicht vollständig erhalten haben.(10) In Jakarta, Indonesien, wurden bis Anfang April 2020 über 30.000 Arbeiter entlassen.(6) Und in Vietnam erklärte der Textilhersteller Vinatex (der fast 10% des Marktanteils im Land kontrolliert und Kunden wie H&M und Zara beliefert) im April 2020, dass etwa 50.000 seiner Arbeiter aufgrund mangelnder Aufträge entlassen werden könnten.(11) Insgesamt schätzt Oxfam Canada, dass die Auswirkungen von Arbeitsplatzschließungen und Arbeitsplatzverlusten dazu führen könnten, dass weitere 8% der Weltbevölkerung in die Armut abrutschen.(10)

Zusätzlich zu den vielen Arbeiter*innen, die ihren Arbeitsplatz oder ihr Gehalt verlieren, sind diejenigen, die weiter arbeiten können, dem Risiko ausgesetzt, sich mit dem Virus anzustecken. In Kambodscha – wo 40% des Bruttoinlandsprodukts auf die Bekleidungsindustrie entfallen und die etwa 850.000 Menschen im Land beschäftigt – wurde die Abhängigkeit der Wirtschaft von der Bekleidungsindustrie als Rechtfertigung dafür herangezogen, die Fabriken offen zu halten, während ihre Pendants in den Nachbarländern geschlossen wurden.(12) Während die Fabriken offen blieben, kam es dennoch zu Entlassungen, wobei die Entlassenen etwas mehr als ein Drittel ihres Gehalts durch die gemeinsame Unterstützung der Regierung und ihrer Arbeitgeber erhielten.(12) Diejenigen, die weiterhin arbeiten, können kaum die Hygienmaßnahmen aufrechterhalten. Einer der bedeutendsten COVID-19-Ausbrüche in Guatemala wurde auf eine Bekleidungsfabrik in Guatemala-Stadt zurückgeführt, wo über 200 der 900 Mitarbeiter des Unternehmens K.P. Textil an SARS-Cov-2 erkrankten.(13)

Auswirkungen auf Frauen

Eine Analyse des Institute for Fiscal Studies ergab, dass Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit in einem von der Pandemie betroffenen Sektor arbeiten und dass ihr Verdienst stärker beeinträchtigt wird.(14) Aufgrund von solchen Problemen sagen Experten, dass die Pandemie die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern noch zusätzlich verschärfen könnte.(15)

Von allen Beschäftigten in der Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie in Indonesien sind 58 % Frauen.(6) In Bangladesch ist etwa die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in der Textil- oder Bekleidungsindustrie tätig, von denen viele nun von einem geringeren Einkommen leben müssen oder ihre Arbeit ganz verlieren.(15)

Patriarchalische Vorstellungen auf der ganzen Welt führen oft zu einer Unterbewertung und Unterbezahlung von Frauen.(6) Sie sind am stärksten von Produktionseinbußen betroffen, da sie die Mehrheit der Arbeiter*innen ohne festen Status ausmachen, was ihre Anfälligkeit für wirtschaftliche Ungerechtigkeit und Entlassungen erhöht.(6) Unter anderem aus diesen Gründen werden Frauen tendenziell eher entlassen als ihre männlichen Kollegen.(6)

Gesellschaftliche Normen diktieren oft, dass Frauen für den Großteil des Haushalts und der Familienpflege verantwortlich sein sollten.(15) Dies verstärkt sich in der Pandemie und kann dazu führen, dass Frauen ihre Arbeit aufgeben oder aufgeben müssen.

Lösungen

Die während der Pandemie auftretenden Probleme, die Arbeiter*innen (insbesondere Frauen) entrechten, sind nicht neu, sondern werden durch systemische Probleme verursacht, die seit Jahren in der Textilindustrie bestehen.(10) Was sind die Ursachen?

Multinationale Konzerne sollten dazu verpflichtet werden, die Fabriken und Arbeiter*innen in ihrer Lieferkette zu unterstützen. Öffentlicher Druck hat Konzerne wie Inditex und H&M dazu bewegt, ihre Zulieferer für bestehende Aufträge vollständig zu bezahlen.(9) Eine Vielzahl globaler Interessengruppen, die sich für Arbeitsrechte einsetzen, wie dem Internationalen Gewerkschaftsbund und der Internationalen Arbeitsorganisation, hat einen Plan initiiert, der inzwischen von einer Reihe prominenter internationaler Einzelhändler, darunter H&M, Adidas, Under Armour und Primark, unterstützt wird.(16) Er beinhaltet die Bereitstellung von finanzieller Unterstützung für Bekleidungsfabriken und Arbeiter*innen, die von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen sind.(16) Optimisten glauben, dass sich aus dieser Erfahrung die Möglichkeit ergeben könnte, die Rechte der Arbeiter in Zukunft zu stärken und wichtige Rechte wie Gesundheitsleistungen und Beschäftigungsschutz zu sichern.(16)

Über die Pandemie hinaus können sich Unternehmen um ihre Textil- und Bekleidungsarbeiterinnen auch kümmern, indem sie sichere und integrative Räume am Arbeitsplatz schaffen. Das HERproject arbeitet daran, geschlechtsspezifische Ungleichheiten durch passende Maßnahmen in Bekleidungsfabriken von z.B. Modemarken wie Nordstrom, Levi’s und Ralph Lauren zu verringern.(17) Zu den von HERproject betriebenen Programmen gehören Initiativen, die Frauen über Gesundheitsthemen aufklären, die Kenntnisse über Finanzen vermitteln und die sich mit geschlechtsspezifischer Gewalt befassen.(18) Nach zwölf Jahren der Beteiligung am HERproject hat sich z.B. Nordstro verpflichtet, bis zum Jahr 2023 70% der Kleidung der eigenen Marke in Fabriken zu produzieren, die “die Stärkung der Frauen unterstützen”.(18)

Im Juni 2020 wird die UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte in Zusammenarbeit mit anderen Interessenvertretern eine Reihe von Diskussionen darüber veranstalten, wie nach der Coronavirus-Pandemie die Rechte von Unternehmen und Arbeitnehmern gestärkt werden können, einschließlich der “Bekämpfung von geschlechtsspezifischen Verzerrungen in Wiederherstellungsplänen” und der Förderung nachhaltiger Maßnahmen.(19) Um die Rechte der Beschäftigten in Textil- und Bekleidungsfabriken auf der ganzen Welt zu stärken, müssen die Rechte für Arbeiter*innen und faire Gehälter realisiert werden, anstatt den multinationalen Konzernen zu helfen, die die Bedingungen für ihre Unterdrückung fördern.(10)

Referenzen

  1. Glover, S. (2020, April 7). Factory fire report paints grim safety picture. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020040725930/social-compliance-csr-news/factory-fire-report-paints-grim-safety-picture.html
  2. BSR HERproject. (n.d.). What we do. Retrieved from: https://herproject.org/about/what-we-do
  3. Preet, R. (2019, October 31). Vietnam records high female employment but challenges remain. Vietnam Briefing. Retrieved from: https://www.vietnam-briefing.com/news/vietnam-records-high-female-employment-challenges-remain.html/
  4. Remington, C. (2020, February 10). Bangladeshi workers call for anti-harassment committees. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020021025672/social-compliance-csr-news/bangladeshi-workers-call-for-anti-harassment-committees.html
  5. Glover, S. (2020, June 2). Apparel sector ‘hardest hit by pandemic’. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020060226145/materials-production-news/apparel-sector-hardest-hit-by-pandemic.html
  6. Misbahul Pratiwi, A. (2020, April 21). Women manufacturing workers hit hardest. The Jakarta Post. Retrieved from: https://www.thejakartapost.com/academia/2020/04/21/women-manufacturing-workers-hit-hardest.html
  7. Remington, C. (2020, April 23). European Commission handed ‘shadow strategy’. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020042326001/materials-production-news/european-commission-presented-with-shadow-strategy.html
  8. Radharaman, K. (2020, April 3). If the textile industry is to recover from the lockdown, it needs quick government help. The Wire. Retrieved from: https://thewire.in/business/textile-industry-covid-19-government-help
  9. Oi, M., & Hoskins, P. (2020, April 10). Clothing makers in Asia give stark coronavirus warning. BBC News. Retrieved from: https://www.bbc.com/news/business-52146507
  10. Stefov, D. (2020, April 24). Economy & COVID-19: Twin train wrecks for the women who make our clothes. Oxfam Canada. Retrieved from: https://www.oxfam.ca/blog/the-twin-train-wrecks-of-the-economy-and-the-coronavirus-reflections-from-the-women-that-make-our-clothes/?gclid=Cj0KCQjww_f2BRC-ARIsAP3zarF_qyqS8HaeVEq8PtvqYZvdE4KeiQUp532xHpV1uyVx58EiPbhuBSEaAuTSEALw_wcB
  11. Glover, S. (2020, April 21). Textile giant could lay off 50,000 workers. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020042125984/materials-production-news/textile-giant-could-lay-off-50-000-workers.html
  12. Thomas Reuters Foundation. (2020, April 14). ‘Please, we are not animals’: Virus fears weigh on Cambodia’s garment workers. Eco-Business. Retrieved from: https://www.eco-business.com/news/please-we-are-not-animals-virus-fears-weigh-on-cambodias-garment-workers/
  13. Remington, C. (2020, May 29). Factory in Guatemala ravaged by virus outbreak. Ecotextile News.  Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020052926137/materials-production-news/factory-in-guatemala-ravaged-by-virus-outbreak.html
  14. Joyce, R., & Xu, X. (2020, April 6). Sector shutdowns during the coronavirus crisis: Which workers are most exposed? Institute for Fiscal Studies. Retrieved from: https://www.ifs.org.uk/publications/14791
  15. Grown, C. & Sanchez-Paramo, C. (2020, April 20). The coronavirus is not gender-blind, nor should we be. World Bank Blogs. Retrieved from: https://blogs.worldbank.org/voices/coronavirus-not-gender-blind-nor-should-we-be
  16. Glover, S. (2020, April 22). Reaction to cross-industry COVID-19 plan. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020042225998/fashion-retail-news/reaction-to-cross-industry-covid-19-plan.html
  17. Remington, C. (2020, February 18). Bestseller strengthens engagement with workers’ rights NGO. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020021825709/fashion-retail-news/bestseller-strengthens-engagement-with-workers-rights-ngo.html
  18. Styles, D. (2019, June 21). Nordstrom aims to empower women in fashion. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2019062124431/social-compliance-csr-news/nordstrom-aims-to-empower-women-in-fashion.html
  19. Remington, C. (2020, June 5). UN to host forum on business and worker rights. Ecotextile News. Retrieved from: https://www.ecotextile.com/2020060526166/social-compliance-csr-news/un-to-host-forum-on-business-and-worker-rights.html
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