Sustainable Fashion

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HEJSupport Interview mit Siddika Sultana, Mitbegründerin und Geschäftsführerin von ESDO

Amelie Owen (HEJSupport) führte mit Siddika Sultana, Mitbegründerin und Geschäftsführerin der Environment and Social Development Organization (ESDO), ein Interview über die Herausforderungen von Frauen in der Textilindustrie in Bangladesch.

Amelie Owen: Könnten Sie mir etwas über sich und Ihre Arbeit zum Thema Frauen in der Textilindustrie in Bangladesch erzählen?

Ich arbeite seit 1999 zu Gender-Themen. Angefangen habe ich mit meiner Arbeit in der Bangladesh Women Health Coalition, dort habe ich mich auf Frauenrechte in all ihren verschiedenen Aspekten spezialisiert, von der Geschlechtergerechtigkeit bis hin zur Stärkung der Frauen am Arbeitsplatz. Zu dieser Zeit beschäftigte ich mich dem Thema Frauengesundheit, vor allem mit der Aufklärung über HIV/AIDS. Ich arbeitete mit der Bevölkerung in den Slums, insbesondere mit den Frauen dort, von denen viele in der Textilindustrie tätig waren. So erfuhr ich mehr über ihre gesundheitlichen Probleme, und insbesondere über den Zusammenhang mit dem (fehlenden) Arbeitsschutz.

Ich habe einen Abschluss in Sozialwissenschaften, einen Abschluss in Umwelterziehung aus Japan und ein Diplom in Sozialer Sicherheit mit dem Schwerpunkt Gender. Außerdem habe ich Erfahrung als Fachreferentin für Journalistinnen, und einige meiner Schwerpunkte sind Gleichberechtigung, Frauen in der Wissenschaft und Gender- und Chemiethemen.

Was sind die größten Herausforderungen für Frauen, die in der Textilindustrie in Bangladesch arbeiten?

Bevor ich über die Herausforderungen spreche, möchte ich einen Überblick über die verfassungsrechtlichen Regelungen in Bangladesch geben. Die Verfassung von Bangladesch garantiert die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, und die nationalen Gesetze sollen die Rechte der Frauen schützen. Im Jahr 2006 hat Bangladesch ein Gesetz über die Grundrechte von Arbeitnehmerinnen verabschiedet, das unter anderem das Recht auf Mutterschaftsurlaub vorsieht. Bangladesch hat auch die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, CEDAW, ratifiziert.

Die Realität sieht jedoch ganz anders aus, denn die Rechte der Frauen bleiben unwirksam. Eine wesentliche Diskriminierung zwischen Männern und Frauen betrifft die Löhne. Die anderen Herausforderungen sind Fragen der Gesundheit am Arbeitsplatz, der Sicherheit, einer ungesunden Umwelt. Auch hinsichtlich der Körperpflege und Hygiene gibt es keine ausreichenden Schutzmaßnahmen. Vor allem erhalten Frauen nicht die gesetzlichen Leistungen, die ihnen zustehen. Außerdem gibt es keinen Mutterschutz.

Die Überstunden der Frauen in der Textilindustrie ist eines der Hauptprobleme: Der lange Arbeitstag und die Last der häuslichen Pflichten verweigern den Frauen jegliche Freizeit und Qualitätszeit mit ihren Familien.

Was sind die spezifischen Gesundheitsprobleme von Frauen in der Branche?

Die spezifischen Gesundheitsprobleme beziehen sich vor allem auf die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Obwohl die COVID-19 Pandemie gezeigt hat, wie wichtig es ist, dass die Menschen ihre Rechte am Arbeitsplatz wahrnehmen, gibt es zahlreiche Situationen, in denen sich Frauen nicht auf ihre Rechte berufen können. Es gibt einen Mangel an hygienischen Einrichtungen, die Frauen während ihrer Menstruation die normalen hygienischen Maßnahmen vorenthalten und so die Gesundheit der Frauen gefährden. Frauen arbeiten auch mit Chemikalien und sind diesen ausgesetzt. Darüber hinaus können auch ihre Kleinkinder gefährdet sein, da Mütter ihre Kinder manchmal mit an den Arbeitsplatz nehmen müssen. Ein weiterer Faktor ist die Unterernährung von Frauen. Niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten führen dazu, dass Frauen ständig unterernährt sind.

Gibt es Daten, die den Einfluss der Textilindustrie auf die Gesundheit der Arbeiterinnen zeigen?

Nach den neuesten Daten sind 80 % der Textilarbeiterinnen in Bangladesch Frauen. Frauen in der Textilindustrie arbeiten 9 bis 12 Stunden am Tag, oft 7 Tage die Woche. Sie sind einer ungesunden Umgebung ausgesetzt, wie z.B. lautem Lärm, schlechter Beleuchtung, gefährlichen Chemikalien, Staub, schlechten oder unzureichenden Belüftungssystemen oder Schutzkleidung. Hinzu kommen schlechte Arbeitsbedingungen wie fehlender Zugang zu sanitären Anlagen, niedrige Löhne, fehlende Verpflegung und Erholungspausen.

Hier einige Zahlen zu den Gesundheitsproblemen, mit denen Frauen in diesem Sektor konfrontiert sind: 88% leiden unter Kopfschmerzen, 48% unter Müdigkeit, 46% unter Augenproblemen, 43% unter Hörproblemen und 27% unter Bluthochdruck. 75% der Frauen haben mit Schmerzen in den Händen zu kämpfen, 73% mit Schmerzen im unteren Rückenbereich, 53% mit Schulterschmerzen, 43% mit Schmerzen in der Brust und 40% mit Schmerzen im Unterleib. Die Exposition gegenüber giftigen Chemikalien und Staub führt dazu, dass 55% der Frauen Probleme mit den Atemwegen haben, 37% haben Allergien.

Darüber hinaus zeigen unsere Daten, dass viele Frauen unter Angstzuständen, Phobien und Depressionen infolge von Vernachlässigung am Arbeitsplatz leiden. Außerdem fürchten 75% der Frauen Unfälle, 73% fürchten keine Freizeit zu haben oder die Unregelmäßigkeit ihres Gehalts. Im Falle einer schweren Krankheit bieten die Unternehmen keine Sozialleistungen an und fordern die Frauen oft auf, zu gehen und nicht mehr zur Arbeit zu kommen.

Gibt es Fälle von Ungleichheit in Bezug auf Arbeiterinnen?

Ungleichheiten gibt es überall in der Textilindustrie, angefangen bei den Löhnen: Für dieselbe Arbeit werden Frauen schlechter bezahlt als Männer. Insgesamt werden Arbeiterinnen anders behandelt als Männer. Ihnen wird Gerechtigkeit und eine angemessene Behandlung vorenthalten, zum Beispiel während Schwangerschaft und Mutterschaft. Kurz gesagt, es gibt keine Möglichkeit für Frauen, einen Arbeitstag ausfallen zu lassen, weil sie selbst oder ihre Kinder in einem schlechten Gesundheitszustand sind. Außerdem sind die Arbeiterinnen in diesen Einrichtungen oft sexueller Belästigung ausgesetzt, bekommen ihren Lohn nicht rechtzeitig und müssen Überstunden machen.

Gibt es in Ihrem Land weibliche Führungspersonen, die sich für die Rechte der Frauen in der Textilindustrie einsetzen?

Es gibt Frauen in Bangladesch, die unermüdlich für die Rechte der Arbeiterinnen kämpfen. Nazma Akter ist eine von ihnen. Nachdem sie 25 Jahre lang in der Textilindustrie gearbeitet hatte, gründete sie ihre Organisation namens Awaj Foundation, was auf Bengalisch “Sag laut” bedeutet. Die Organisation setzt sich für die Rechte der Arbeiterinnen in der Textilbranche ein.

Auch die Garment Workers Union Federation wird von einer Frau geführt. Nomi Tanat ist die Präsidentin der Gewerkschaft.

Eine weitere Institution, die Frauen in der Bekleidungsindustrie unterstützt, ist die Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association. Sie wird von Rubana Huq geleitet, einer Frau, die sich leidenschaftlich dafür einsetzt, Frauen Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten, die ihnen den Zugang zu Führungspositionen ermöglichen.

Gibt es in Bangladesch Textilunternehmen, die nachhaltige Textilien herstellen? Sind die Arbeitsbedingungen dort im Vergleich zur konventionellen Textilproduktion besser?

Heutzutage stellen viele Unternehmen auf eine umweltschonende Produktion um. Mehrere Fabriken in Bangladesch haben die Zertifizierung nach dem Global Organic Standard (GOTS) erhalten. Bangladesch führt die Liste der ökologisch produzierenden Fabriken an, was die Gesamtzahl der GOTS-Zertifikate im Jahr 2019 angeht. Es gibt einige Arbeitsgruppen für nachhaltige Textilien: Akij Textiles Mills Ltd (stellt nachhaltige Stoffe her), Amanat Shah Fabrics ltd und Amim Denim Ltd, die Stoffe produzieren und J Mix Clothing Ltd, die Kleidung produzieren.

Ich konnte mich davon überzeugen, dass diese Unternehmen versuchen, die Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiter zu verbessern. Außerdem setzt sich die Karu Ponno Foundation für die Verbesserung der Umwelt und der Arbeitssicherheit in diesen Unternehmen ein.

Gibt es öffentliche Kampagnen, die sich für die Rechte der Textilarbeiter*innen in Bangladesch einsetzen?

Viele Organisationen arbeiten hart daran, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Menschenrechte im Textilsektor in Bangladesch zu gewährleisten. Das Bangladesh Center for Workers Solidarity (BCWS), die Awaj Foundation und Labor Behind The Label sind die wichtigsten Organisationen, die sich mit diesen Themen in meinem Land beschäftigen. Das BCWS arbeitet eng mit internationalen Solidaritätskampagnen zusammen, um das weltweite Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen im Textilsektor in Bangladesch zu schärfen.

Was sollten die nächsten Schritte sein, um die Bedingungen von Frauen in der Textilindustrie zu verbessern?

Die Bekleidungsindustrie ist die wichtigste wirtschaftliche Kraft in Bangladesch. Unternehmen, die in der Textil- und Bekleidungsproduktion tätig sind, müssen frauenfreundlich werden und in eine gesunde Umwelt und sichere Arbeitsbedingungen für Frauen und Männer investieren. Sie müssen für die Sicherheit der Arbeiter*innen sorgen und den Frauen die Rechte zugestehen, die sie verdienen, da Frauen nicht nur die Mehrheit der Bekleidungsarbeiterinnen sind, sondern auch das erste Umfeld für ihre Kinder darstellen.

Die Regierung von Bangladesch muss die vollständige Gleichstellung der Geschlechter im Textilsektor sicherstellen, angefangen bei den Löhnen und anderen Leistungen. Sie muss den Frauen das Recht geben, bezahlte Krankheitstage in Anspruch zu nehmen, den Zugang zu angemessenen sanitären Einrichtungen sicherstellen und niemals verlangen, unter Androhung von Entlassung oder Lohnkürzungen mehr Zeit bei der Arbeit zu verbringen.

Es ist entscheidend, die Gesellschaft in den Prozess der Verbesserung der Frauenarbeit in der Textilindustrie einzubeziehen. Die Bildung von Arbeiter*innen-Gruppen, die Forderungen für Verbesserungen am Arbeitsplatz vorbereiten, wird Druck auf die Fabrikleitungen ausüben. Außerdem sollten Frauen in solchen Gruppen eine aktive Rolle spielen. Nur dann werden die an die Arbeitgeber gestellten Forderungen wirklich die Bedürfnisse der Frauen widerspiegeln. Dazu ist es wichtig, das Bewusstsein der Arbeiterinnen für Arbeitsschutz, Ernährung und Frauengesundheit zu schärfen.

Die Arbeit von Siddika Sultana und ESDO können Sie hier verfolgen: https://esdo.org/

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