COVID-19 und die Textilbranche: Fakten und Prognosen
Die COVID-19-Pandemie hat das Leben von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt durcheinander gebracht, sei es physisch, emotional oder wirtschaftlich. In wirtschaftlicher Hinsicht waren die Textil- und Modeindustrie stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen.
COVID-19, Mode und Textilien
Die wirtschaftliche Bedeutung der Textil- und Modeindustrie ist signifikant. Euromonitor International berichtet, dass der Wert des internationalen Modeeinzelhandelsmarktes allein im letzten Jahr 1,78 Billion US-Dollar betrug.(1) Die Modeindustrie ist laut Branchenquellen von allen Konsumgüterindustrien weltweit am stärksten von der weltweiten Corona-Pandemie betroffen.(2) Trotz des Übergangs vom persönlichen Einkaufen zum Online-Einkauf infolge von Lockdown und geschlossenen Geschäften, sind die Online-Verkäufe von Kleidung in den USA um bis zu 30-40% zurückgegangen.(3) Insgesamt wurde der Rückgang der internationalen Verkäufe in der Modeindustrie zwischen März und April 2020 mit bis zu 70% angegeben.(4)
Jede Ebene der Modeindustrie ist von diesen finanziellen Auswirkungen betroffen, von der Produktion über den Einzelhandel bis hin zur Nachfrage.(5) Die Führungskräfte in der Beschaffung haben auf die Krise reagiert, indem sie Aufträge stornierten und reduzierten, zum Nachteil der Zulieferer.(6) In einer Umfrage unter mehr als 500 Herstellern berichteten 86%, dass sie durch stornierte oder ausgesetzte Aufträge erheblich beeinträchtigt wurden.(2) Einige Marken sind sogar so weit gegangen, unter dem Deckmantel vertraglicher Notfallbestimmungen die Verantwortung für bereits produzierte Aufträge abzulehnen.(7) Dies hat dazu geführt, dass einige Zulieferer nicht in der Lage sind, ihre Arbeiter vollständig zu bezahlen.
Bis Ende Mai 2020 wurden allein in den Bekleidungsfabriken in Bangladesch Aufträge im Wert von etwa 1,5 Milliarden Dollar storniert.(4) Forbes schätzt, dass von diesen stornierten Aufträgen mindestens 1,2 Millionen Arbeiter*innen im ganzen Land betroffen sind.(8) Auch wenn der Fall Bangladesch der extremste sein mag, sind die finanziellen Auswirkungen der Pandemie in der Textilindustrie in Ländern auf der ganzen Welt zu spüren. In Pakistan gab es einen starken Rückgang der Exporte und einen erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit, und in Nicaragua wurde ein Rückgang der Exporte vorausgesagt.(9)
Auswirkungen
Seit Beginn der Pandemie sind die Bekleidungsarbeiter*innen mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, wie Lohnverluste, Entlassungen und dem Zwang, unter unsicheren Bedingungen zu arbeiten.(10) Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) könnten durch die Pandemie bis zu 25 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen.(11) In mehreren Ländern ist es zu massiven Entlassungen gekommen.(12) Schätzungen gehen davon aus, dass in Kambodscha fast 110.000 Arbeiter*innen, 2,1 Millionen Menschen in Indonesien und fast eine Million in Bangladesch entlassen wurden.(12) Während in bestimmten Fällen geringe wirtschaftliche Unterstützung für Arbeiter*innen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, verfügbar ist, ist dies definitiv nicht immer der Fall. Über 80% der Zulieferer, die in Bangladesch Verträge verloren haben, gaben an, dass sie nicht in der Lage waren, Abfindungen für die entlassenen Arbeiter*innen zu zahlen.(8)
Auch diejenigen, die ihren Arbeitsplatz behalten konnten, sind weiterhin betroffen. Sie sind oft der Gefahr einer Ansteckung ausgesetzt, da Hygienemaßnahmen wie Abstand halten extrem schwierig umzusetzen sind.(11) Selbst rigorose Sicherheitsmaßnahmen können Arbeiter*innen, die in die Fabriken zurückgerufen werden, nicht ausreichend schützen.(12) Mit der Lockerung der Beschränkungen wurden bestimmte Maßnahmen, die zum Schutz vor dem Virus eingeführt wurden, von Fabrikbesitzer*innen zu ihrem Vorteil ausgenutzt (einige Arbeitgeber*innen haben z. B. Mobilitätsbeschränkungen genutzt, um ihre Angestellten zu entlassen, wenn sie nicht zur Arbeit erschienen).(12) Schon vor dem Ausbruch der Pandemie waren Ernährungsunsicherheit und Ernährungsmängel unter vielen Bekleidungsarbeiter*innen weit verbreitet, und der Verlust des Einkommens wird diese Probleme nur noch verschärfen.(12)
Bestimmte Gruppen von Arbeiter*innen sind besonders betroffen. Frauen machen die Mehrheit der Beschäftigten im Bekleidungssektor aus und sind auch von der COVID-Krise in besonderer Weise betroffen.(11) Viele mussten die Last zusätzlicher (oft unbezahlter) Arbeit, wie z. B. Kinderbetreuung, auf sich nehmen und sehen sich aufgrund eines erhöhten Risikos geschlechtsspezifischer Gewalt infolge wirtschaftlicher Unsicherheit zusätzlichen Sorgen gegenüber. Im Rahmen einer Bedarfsermittlung haben Bekleidungsarbeiter*innen in Bangladesch eine Vielzahl von Bedenken hinsichtlich der möglichen Auswirkungen von COVID-19 genannt, darunter Lebensmittelknappheit, Mobilitätseinschränkungen, finanzielle Instabilität und Krankheit.(13) Von denjenigen, die an der Bedarfsermittlung teilgenommen haben, berichteten 91%, dass sie psychischen Druck und Angst wegen ihrer Arbeit verspüren.(14)
Um einige der Probleme der Arbeiter*innen in den Bekleidungsfabriken anzugehen, hat die International Apparel Federation (IAF) die Interessenvertreter der Branche dazu aufgerufen, sich mit den Arbeiter*innen in der gesamten Lieferkette solidarisch zu zeigen, indem sie ihre Verträge einhalten und sie weiterhin finanziell unterstützen.(14) Diese Aufrufe zum Handeln werden von Regierungen und Arbeitnehmerrechtsgruppen in den betroffenen Ländern aufgegriffen. In Indien hat der Textilminister einen dringenden Appell an die Modeeinkäufer veröffentlicht, keine Aufträge zu stornieren, um die Rechte der Arbeiter*innen zu schützen.(15) Der Verband der Bekleidungshersteller in Kambodscha (GMAC) hat die Stakeholder um Unterstützung gebeten und an die Einkäufer appelliert, die bestehenden Verträge einzuhalten, um die Arbeiter*innen besser zu unterstützen.(16)
Blick in die Zukunft
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung schätzt die Kosten für die Weltwirtschaft als Folge der Pandemie auf 1 Billion Dollar und einen Rückgang der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen um 5-15%.(9) Die aktuelle finanzielle Situation in der Textil- und Modeindustrie ist düster und die Prognosen sind nicht optimistisch. Man geht davon aus, dass die Modebranche im zweiten Quartal des Jahres 2020 am stärksten betroffen sein wird, da es Experten zufolge zu einem Rückgang des Beschaffungsvolumens um 20% oder mehr kommen könnte.(6) Im McKinsey Global Fashion Index wurde geschätzt, dass die Umsätze in der Bekleidungs- und Schuhbranche im Jahresvergleich um 27 bis 30% sinken werden, nachdem sie ein halbes Jahrzehnt lang stetig gestiegen waren.(7)
Die Situation ist dramatisch, aber sie ist auch das Ergebnis nicht nachhaltiger Geschäftspraktiken, die in der Textil- und Modeindustrie seit Jahrzehnten praktiziert werden.(10) Die Lieferketten für Bekleidung sind darauf ausgelegt, die Unternehmensgewinne zu maximieren, während die Arbeiter*innen durch niedrige Löhne und minderwertige Arbeitsbedingungen ausgebeutet werden.(11) In Ländern mit begrenztem sozialem Schutz für Arbeiter*innen haben Modemarken profitiert, indem sie ihren Angestellten niedrige Löhne zahlten, die oft nur etwa ein Drittel eines existenzsichernden Lohns ausmachen.(10)
Der finanzielle Kampf, mit dem sich Modeunternehmen weltweit derzeit konfrontiert sehen, bietet jedoch die Möglichkeit, positive Veränderungen voranzutreiben. Das übliche Geschäftsmodell von Angebot und Nachfrage erweist sich als ineffizient, da die Überproduktion dazu führt, dass die Unternehmen einen Überschuss an Kleidungsstücken haben.(3) Schon vor der Pandemie landeten etwa 70% aller produzierten Kleidungsstücke aufgrund der Überproduktion auf Mülldeponien.(17) Um dieses Problem anzugehen, könnten Marken den Übergang zu einem On-Demand-Produktionsmodell in Erwägung ziehen, bei dem die Kleidung erst nach dem Verkauf an die Händler hergestellt wird (was den Abfall und in einigen Fällen auch die Kosten reduzieren würde).(3) Andere vorgeschlagene Lösungen für das Problem des Überangebots umfassen die Umstellung auf mehr lokale Produktion und die Reduzierung der Anzahl der Modezyklen, um weniger Kollektionen im Laufe des Jahres herauszubringen.(3)
Kurzfristig werden diejenigen Unternehmen am wenigsten von den negativen Auswirkungen der Pandemie betroffen sein, die Nachhaltigkeit bereits in ihre Geschäftspraktiken integriert haben.(2) Seit Jahren nimmt das Interesse der Verbraucher an Nachhaltigkeit stetig zu – die Internet-Suche nach „nachhaltiger Mode“ hat sich zwischen 2016 und 2019 verdreifacht – und dies hat sich während der Pandemie noch beschleunigt.(3) Die Verbraucher werden weniger für Kleidung ausgeben und wählerischer sein, was sie kaufen, wobei sie mehr Wert auf Qualität und ethische Produktion legen als in der Vergangenheit.(2) Marken, die in der Fast-Fashion-Branche tätig sind, müssen sich auf soziale und ökologische Verantwortung umstellen, wenn sie in Zukunft erfolgreich sein wollen.(2) Der Übergang zur Nachhaltigkeit in der Mode wird nicht nur von der Branche selbst vorangetrieben werden, auch die Regierungen müssen sich engagieren, um umwelt- und sozialverträgliche Geschäftspraktiken vorzuschreiben.(17)
Die COVID-19-Pandemie hat auf allen Ebenen der Mode-Lieferkette finanzielle Probleme verursacht. Wenn Unternehmen klug sind, werden sie diese Gelegenheit nutzen, um positive Veränderungen zu schaffen. Das bedeutet hoffentlich, dass sich die Neigung der Branche zur Nachhaltigkeit, ihr Engagement für die Arbeiter*innen entlang der gesamten Lieferkette und ihr Einsatz für die Verbraucher weltweit verbessern werden.(5)
Referenzen
- Orlova, D. (2020, May 5). How will COVID-19 change the fashion industry? CGTN. Retrieved from: https://newseu.cgtn.com/news/2020-05-05/How-will-COVID-19-change-the-fashion-industry–QdWaZBwGCQ/index.html
- Danziger, P.N. (2020, May 10). Coronavirus will force fashion to a sustainable future. Forbes.Retrieved from: https://www.forbes.com/sites/pamdanziger/2020/05/10/coronavirus-will-force-fashion-to-a-sustainable-future/#5b9d1ad65292
- Magnusdottir, A. (2020, May 13). How fashion manufacturing will change after the coronavirus. Forbes. Retrieved from: https://www.forbes.com/sites/aslaugmagnusdottir/2020/05/13/fashions-next-normal/#4e2cced878f3
- UN Environment Programme. (2020, June 16). On trend: Sustainable fashion in the wake of COVID-19. Retrieved from: https://www.unenvironment.org/news-and-stories/story/trend-sustainable-fashion-wake-covid-19?fbclid=IwAR2n2fTABUdMX4Jldx_4QXtwBUYXFBWCm37S3kberafmbMtdIAQYqbXIgEw
- McIntosh, S. (2020, April 30). Coronavirus: Why the fashion industry faces an ‘existential crisis’. BBC News. Retrieved from: https://www.bbc.com/news/entertainment-arts-52394504
- Berg, A., Haug, L., Hedrich, S., & Magnus, K.-H. (2020, May 6). Time for change: How to use the crisis to make fashion sourcing more agile and sustainable. McKinsey & Company. Retrieved from: https://www.mckinsey.com/industries/retail/our-insights/time-for-change-how-to-use-the-crisis-to-make-fashion-sourcing-more-agile-and-sustainable#
- IndustriALL. (2020, March 23). COVID-19 – an existential crisis for the garment industry. Retrieved from: http://www.industriall-union.org/covid-19-an-existential-crisis-for-the-garment-industry
- Elle. (2020, May 12). How the Covid-19 pandemic is affecting the fashion industry. Retrieved from: https://www.elle.com/uk/fashion/g32015646/coronavirus-fashion-brands/
- Satapathy, D. (2020, March 21). COVID-19 adversely hits textile, apparel, fashion sectors. Fibre2Fashion News Desk (DS).Retrieved from: https://www.fibre2fashion.com/news/textile-news/covid-19-adversely-hits-textile-apparel-fashion-sectors-265962-newsdetails.htm
- Clean Clothes Campaign. (2020, June 1). Garment workers need apparel companies’ assurance that they will be paid during this crisis. Retrieved from: https://cleanclothes.org/news/2020/garment-workers-need-apparel-companies-assurance-that-they-will-be-paid-during-this-crisis
- Sutcliffe, J. (2020, April 8). COVID-19 and the garment industry: Protect workers, transform the industry. Development Blog. Retrieved from: https://insights.careinternational.org.uk/development-blog/covid-19-and-the-garment-industry-protect-workers-transform-the-industry
- Asia Floor Wage. (May 2020). The emperor has no clothes – Garment supply chains in the time of the pandemic. Retrieved from: https://asia.floorwage.org/wp-content/uploads/2020/05/The-Emperor-Has-No-Clothes-Issue-II-May.pdf
- Care Evaluations. (2020, April 16). Rapid Analysis: How are female garment workers during COVID-19. Retrieved from: https://www.careevaluations.org/evaluation/rapid-analysis-how-are-female-garment-factory-workers-during-covid-19/
- Fashion United. (2020, March 25). IAF urges solidarity in apparel supply chain. Retrieved from: https://fashionunited.com/news/fashion/iaf-urges-solidarity-in-apparel-supply-chain/2020032532777
- Tagra, D. (2020, March 25). Indian textile minister urges buyers and buying houses to not cancel orders. Apparel Resources. Retrieved from: https://in.apparelresources.com/business-news/sourcing/indian-textile-minister-urges-buyers-buying-houses-not-cancel-orders/
- Nika, C. (2020, March 25). GMAC appeals to stakeholders to join hand to tackle manufacturing woes caused by Coronavirus. Khmer Times. Retrieved from: https://www.khmertimeskh.com/705603/gmac-appeals-to-stakeholders-to-join-hands-to-tackle-manufacturing-woes-caused-by-coronavirus/
- Cegielski, E. (2020, May 18). How the current crisis could impact the future of fashion forever. Worth. Retrieved from: https://www.worth.com/how-the-current-crisis-could-impact-the-future-of-fashion-forever/